Briefmarkensammlerverein Berliner Bär e.V. in Berlin
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Luftbrücke Berlin 1948 - 1949

Gabriele D’Annunzio - Das Torpedoboot im Garten

 
 
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Kein Zweifel, der Mann war verrückt, vollkommen verrückt. 1863 als hoffnungsvoller Sproß der nicht ganz unberühmten italienischen Familie D’Annunzio geboren, entwickelte Gabriele D’Annunzio sich bald zu einem der berühmtesten Vertreter europäischer Dekadenz, kannte und liebte fast alle der damals ebenfalls berühmten europäischen Frauen, war faszinierender Dichter, Liebhaber, Dramatiker und, vor allem, Verschwender fremden Geldes. Das brachte ihn 1910 in die für einen glühenden Patrioten doch irgendwie unangenehme Lage, vor seinen Gläubigern nach Frankreich fliehen zu müssen. Andererseits konnte man natürlich vom Ausland her nur noch umso besser auf die Verhältnisse zu Hause schimpfen, es war schließlich nicht mehr unmittelbar gefährlich.

Gabriele D’Annunzio

Um den Vorwurf der Feigheit nun zu entkräften, redete er sich und Italien von Genua bis Rom immer weiter in den Krieg hinein, keiner durfte patriotischer, keiner mutiger sein als er, und wirklich, in seinen mitreißenden Reden fand er keine Grenzen mehr und verstand es unter brillanter Ausnutzung der klangvollen italienischen Sprache, die Menschen bis zur Ekstase zu begeistern. Zu seinem Leidwesen verlangte niemand von ihm, wirklich zu kämpfen, man dachte eher an eine Verwendung in der Propaganda. Doch in einem Brief an Italiens Regierungspräsident verlangte er: „Ich bin Soldat. Ich wollte ein Soldat sein, aber nicht, um in Cafés oder in der Mensa zu sitzen. Es ist mein einziger Lebensinhalt. Heute. Schützen Sie mich vor der Versuchung, zu Repressalien greifen zu müssen....“

Und tatsächlich, er durfte losziehen. Mit einer Sondergenehmigung konnte sich der Leutnant der Kavallerie in allen drei Waffengattungen bewegen, behielt seinen Hauptwohnsitz aber in Venedig, wo er sich erholte, Offiziere (und Damen) empfangen konnte und Konzerte veranstaltete. Sein Krieg war ein eher persönliches Abenteuer. Er drang mit einem Torpedoboot in einen verminten Hafen ein (was bei dessen geringem Tiefgang und den regelmäßig etwas 2 m unter der Wasseroberfläche befindlichen Minen nicht so besonders heldenhaft war), warf Flaschenpost mit hämischen Texten in das noch österreichische Meer, und flog, bekanntestes Husarenstück, am 9. August 1918 über Wien herum und warf statt Bomben Flugblätter ab. Etwas mehr als 12 Wochen vor Kriegsende und angesichts der hoffnungslos unterlegenen Luftwaffe des Feindes nicht eben übermäßig riskant.

Trotzdem ließen sich Blessuren nicht vermeiden, bei einer Notlandung verlor er ein Auge, was für theatralische Effekte immer gut ist, die schwarze Augenklappe findet sich später noch oft bei bekannten Militärs.

Gabriele D'Annunzio

Seinem nächsten Heldenstück kam leider das Kriegsende zuvor, aber was heißt das schon für wilde Leute in wilden Zeiten? Mit einigen wenigen „Getreuen“ und etwa zweitausend Soldaten zog er, nun in einem roten Fiat sitzend, durch die sich wie verrückt gebärdenden Einwohner von Fiume in den Gouverneurspalast der Stadt in der nördlichen Adria ein und erklärte sie zu italienischem Besitz. Drei Viertel der Einwohner waren Italiener, die allerdings außer Beifall nichts produzierten. Von Anfang an war das gesamte Gebiet deshalb von der Versorgung durch das Rote Kreuz vollständig abhängig, eine Weile ging das auch ganz gut, nur die italienische Armee allerdings umlagerte die Stadt vorsorglich und ließ außer Futter nichts weiter durch. Seine „Arditi“, wie er die Soldaten bald nannte, versorgten sich deshalb rasch aus den im Hafen liegenden Schiffen und unternahmen in der Folge vor allem Kaperfahrten mit den beschlagnahmten Booten.

Am 18. September 1919, 6 Tage nach dem Einmarsch, schreibt D’Annunzio: „Hier läuft alles wunderbar, der Augenblick ist unwiderstehlich. Die Soldaten wollen nur mir gehorchen...!“ Seinem Notizbuch vom 3. Oktober 1919 sind die folgenden Zeilen entnommen:

„Bei den Arditi. Gegen Abend. Das wahre Feuer. Die Rede, die gierigen Gesichter - Die Rasse aus Flamme. Die Chöre - die offenen, klangvollen Lippen - die Blumen, der Lorbeer. Der Ausgang. Die Dolche nackt in der Faust. Eine Grandezza, die ganz römisch ist. Alle Dolche hoch. Die Rufe. Der begeisterte Lauf der Kohorte. Die auflodernde Flamme brennt im Gesicht - das Delirium des Mutes. Rom: Das Ziel!“ Tatsächlich, ein Verrückter.

Es war klar, daß mit solcher romantisch-militanter Gefühlsduselei selbst Italiener nicht ewig zu begeistern waren, außerdem nahm inzwischen die Weltgeschichte doch einen etwas anderen Verlauf. Nach 16 Monaten war D’Annunzio in seinem Palast nur noch peinlich, die Zustände in der Stadt verwilderten zusehends, und auch die alten Heldenstückchen verfingen nicht mehr. Ein erneuter Flug, diesmal seines Sekretärs, von Fiume nach Rom, wo ein mit Rüben gefüllte Nachttopf über dem Regierungssitz abgeworfen wurde, konnte die Sache nur noch schlimmer machen. Der Ministerpräsident Giolitti gab deshalb am 24. Dezember 1920 der Flotte den Befehl: „Schießen Sie auf D’Annunzios Palast, aber nur diesen, das wird genügen; DA wird so verblüfft sein, daß er sofort das Weite sucht.“

So geschah es, eine Granate tötete einen neben D’Annunzio stehenden Soldaten und er selber wird ohne Widerstand weggetragen. Nur die Einwohner der Stadt wehrten sich noch ein paar Tage, dann war das kurzlebige Abenteuer zu Ende, Fiume wurde wieder „Freie Stadt“. Der Abenteurer zieht sich nach Gardone am Gardasee in eine weiträumige Villa zurück und versinkt in seinen Erinnerungen. Der riesige Park wird mit seinem früheren Torpedoboot bestückt, es zerfällt langsam wie der Ruhm seines ehemaligen Kommandanten. Was bleibt, sind dreizehn freistehende Sarkophage mit den letzten Getreuen seiner mystischen Männerbündelei in diesem Park und eine verwehende Ahnung fanatischen Patriotismus’ und operettenhafter Selbstüberschätzung.

Das Boot übrigens wurde vor einigen Jahren, weil schon stark zerbröselt, nach Venedig überstellt, wo es zusammen mit anderen maritimen Resten in dem einzigen Museum der Stadt zu betrachten ist, für dessen Besuch man keinen Eintritt zahlen muß. Sie sind schon Witzbolde, diese Italiener.

Eines aber hat sich ein wenig im Verborgenen bis heute recht gut gehalten, die Briefmarken dieses selbständigen Staates im Staate. Weil das Gebiet kurzzeitig von Ungarn besetzt wurde, finden sich dessen Marken mit dem Aufdruck FIUME auch am Anfang der Ausgabenreihe der Stadt. Sehr häufig gefälscht und fast immer mit einem Gefälligkeitsstempel versehen, sind sie kein Ruhmesblatt der Philatelie, was leider auch für die häßlichen und lieblos gedruckten folgenden Ausgaben gilt.

Briefmarken

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Aufdruckwerte der ersten Ausgabe auf ungarischen Originalmarken

 

Zwischen Dezember 1918 und September 1920 werden aber immerhin 70 Marken entweder überdruckt oder neue ausgegeben, nach der Bildung des „Freistaates Fiume“ weitere 27 Werte, diese allerdings ausschließlich als Überdruckmarken aus alten Beständen, was weiter nicht schlimm war, denn es schrieb offenbar fast niemand mehr aus der tobenden Stadt irgendwelche Mitteilungen, sämtliche Formen von Briefen oder Ähnlichem sind ziemlich selten.

Briefmarken

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Erste Ausgabe des Freistaates 1919

 

Briefmarken

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drei Werte der Überdruckausgabe mit dem eigenartigen „Sicherheitsaufdruck“ auf der Rückseite aller Marken: „Posta di Fiume“ in hellgrau

 

D’Annunzio selber scheint sich der propagandistischen Wirkung eigener Marken erst spät bewußt geworden zu sein, denn nach einem ganzen Jahr der Herrschaft erschien zunächst nur eine einzige Ausgabe, allerdings aus 14 verschiedenen Werten, die alle mit seiner markanten Glatze bedruckt und unter die Leute gebracht wurden.

Briefmarke

Das Motiv hätte man noch ertragen, aber die Worte „HIC MANEBIMUS OPTIME“, sinngemäß mit „HIER WERDEN WIR BESTENS BLEIBEN“ übersetzt, wurde überall auf der Welt natürlich als Kampfansage und nicht etwa als Text einer netten Urlaubskarte verstanden.


Für seine Soldaten allerdings wurden vier Militärpostmarken mit heroischen Darstellungen von Dolchen, einer Leidensfigur und dem Wappen der Stadt geschaffen. Das kam der Stimmung doch schon sehr zu Gute und wirkte ja auch viel martialischer.

Briefmarken

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Militärpostmarken

 

Einmal auf den Geschmack gekommen, veranlaßte er aber sogleich weitere Ausgaben, allesamt zu höherem Ruhme weiterer Heldentaten in Gestalt der Besetzung einiger kleiner Inseln vor der Küste. Wir verdanken ihm also auch die Existenz von Aufdruckmarken für die Carnaro-Inseln. Genauer gesagt: Von gleich 27 verschiedenen Marken mit dem entsprechenden Aufdruck, zum Teil geänderten Wertstufen und eigenen Express-Ausgaben. Alles das natürlich für keinerlei Bedarf, sondern ausschließlich für Propaganda.

Briefmarken

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Die Urmarke zu 20 Centesimi in drei verschiedenen weiteren Verwendungsformen

mit

„Carnaro-Aufdruck“
  dito
mit neuer
Wertstufe
  dito
als
Express-Marke

 

Offenbar wußte aber niemand so genau, wie viele es denn von diesen Eilanden gab, und so wurde erneut die Druckpresse angeworfen und auf die offenbar noch reichlich vorhandenen Militärpostmarken flugs die Namen „ARBE“ und „VEGLIA“ aufgebracht. So hießen die nur zwei bescheidenen Inselchen nämlich. Natürlich auch hier wieder in sechs Wertstufen und zusätzlich zwei Express-Marken.

Diese Ausgaben erfolgten allerdings erst Ende November 1920, als sich überall schon Zeichen der Erschöpfung und des Wahnsinns in der Stadt bemerkbar machten, Verbrechen allerorten zunahmen und die Versorgung der Bevölkerung immer schwieriger wurde. Da halfen eine neue Verfassung, das Verbot von Süßigkeiten (!) und der Verkauf von 250.000 Gewehren an Ägypten durch den selbsternannten Präsidenten auch nicht mehr so recht. Die Sache ging erkennbar schief.

Briefmarken

Marken mit Aufdruck „ARBE“ und „VEGLIA“

Trotzdem weisen diese „Inselmarken“ eine kleine Besonderheit auf: Sie tragen jeweils auf der Rückseite einen etwa linsengroßen Aufdruck, wieder angeblich „zur Sicherheit“, man fragt sich, wogegen eigentlich, der rund um sieben nicht erklärbare kleine Kreise eine Schlange zeigt, die sich selber frißt. Meinte D’Annunzio damit seine Situation? Oder die bereits untergegangene Gesellschaft der alten Reiche aus der Vorkriegszeit? Es blieb sein Geheimnis, Angaben dazu werden Sie wohl ebenso vergeblich suchen wie der Verfasser.

Briefmarke


In einem letzten Anfall von unbegründeter Großzügigkeit übernahm der Italienische Staat nach D’Annunzios Vertreibung für kurze Zeit seine Briefmarken, allerdings mit dem verklärenden Aufdruck „Governo Provvisorio“ - „Provisorische Regierung“, womit, wichtig zu sagen, jetzt die neue und nicht etwa DA’s alte Regierung gemeint war. Drei Jahre und einige weitere häßliche Marken später wurde Fiume dem Königreich Italien einverleibt und verblieb dort bis 1945.

Heute heißt die Stadt Rijeka, ist Teil Kroatiens und keiner der vielen Urlauber dort hat auch nur eine Ahnung davon, was der quirlige kleine Ort mit der Philatelie zu tun hat, schade.

Florian Brouwers

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aktualisiert am: 24.05.2018